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Tour d’Emosson

Der wilde Strubel
18. Oktober 2019
Schwalmere & Lobhörner
12. November 2019
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Eigentlich wollte ich an dem Weekend im August nach Zermatt, aber die Trails dort haben im Zuge des Matterhorn-Ultraks die Trailrunner in Beschlag genommen. Da fliehen sogar die Locals und so kommt es, dass wir uns in Martigny zum Start von unserer alpinen Tour de France treffen. Mit Beat C. Prudhomme habe ich heute den Tourdirektor persönlich als Guide an meiner Seite, da kann ja nichts mehr schiefgehen. Die Beinmuskulatur wird von Anfang an gefordert, über 37 Kehren geht es auf der historischen Postkutschenroute hinauf nach Salvan. Das Trient-Tal war in der Belle-Epoque dank dieser Postkutschenstrecke eine der ersten Regionen in der Schweiz, welche im grossen Stil internationale Touristen empfing. Beim höchstgelegenen Zoo Europas in Les Marécottes machen wir einen ersten Halt und genehmigen uns einen Kaffee. Neben der alpinen Tierwelt hat der Park auch noch ein kleines Felsschwimmbad zu bieten und ich habe mein erstes Déjà-vu, da ich hier als kleiner Knirps mit meinen Eltern schon einmal war.
 
 
Unser Epo ist das Koffein und so pedalieren wir frisch gepusht weiter auf der "Route des Diligences" das Tal hinauf. Wir kreuzen erneut die Bahnlinie und es folgen weitere Kehren, 54 an der Zahl sind es insgesamt von Martigny bis nach Finhaut hoch. Als wir dort einrollen ist es zwar fast noch etwas früh für das Mittagessen, aber die letzte Möglichkeit einzukehren und ein Teller Pasta können auch wir grobprofiligen Gümmeler immer vertragen. Mit vollem Bauch wechseln wir jetzt auf die originale Tour de France Strecke, wo immer noch die Namen von Sagan & Co. auf dem Asphalt prangen. Unsere Pace ist etwas niedriger als die der Profis, dafür könne wir den wunderbaren Tiefblick ins Trient-Tal geniessen, während wir hinauf zum zweitgrössten Stausee der Schweiz strampeln.
 
 
Oben beim Lac d’Emosson angekommen, habe ich heute schon mein zweites Déjà-vu. Die drei speziellen Bahnen welche einem von Le Châtelard her hochbringen, haben damals bei klein Sven einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Als erstes war dies die seinerzeit steilste Standseilbahn der Welt, dann stiegen wir auf die dampfbetriebene Schmalspurbahn um und als letztes noch die spektakuläre Monorailbahn, welche mittlerweile leider durch eine moderne Ministandseilbahn ersetzt wurde.
 
 
Wir wollen noch etwas die rechte Seeseite erkunden und begeben uns in den dunklen Stollen, welcher uns weiter hinten am Seeufer wieder ausspuckt. Da wir nicht wie Ludo Moses May über die Fähigkeit verfügen auf dem Wasser zu fahren, begnügen wir uns mit den grossen Granitbrocken und spielen darauf etwas herum.
 
 
Trockenen Fusses wechseln wir anschliessend auf die andere Seeseite und können weit oben schon unser heutiges Ziel des Tages erkennen. Eine steile Strasse führt hoch zur Hütte, die dort unterhalb der Staumauer wie ein Adlerhorst am Fels klebt. Der Puls schnellt in die Höhe, wir geben nochmals alles auf den letzten Metern, schliesslich fahren wir ja die alpine Tour die France und nicht irgendeine gemütliche Plauschtour.
 
 
Ziel erreicht, aber ein kleiner Workout liegt noch drin, also weiter hoch zur Mauerkrone. Die 1955 erbaute Staumauer wurde im Jahre 2014 erhöht und fasst jetzt das doppelte Volumen. Der Lac du Vieux Emosson fungiert zusammen mit dem tiefer gelegene Lac d’Emosson als Pumpspeicherkraftwerk und das Summen der Generatoren in der Felskaverne ist omnipräsent. Auch hier laden am Ufer wieder Steine zum Spielen und Fotografieren ein, dies lassen wir uns natürlich nicht entgehen.
 
 
So langsam spüren wir die heutige Etappe in den Beinen und machen uns auf den Weg zurück zur Cabane du Vieux-Emosson. Wir checken ein und genehmigen uns zur Regeneration ein kühles isotonisches Getränk aus Hopfen und Malz. Die heimelige Hütte diente schon damals beim Bau der Staumauer als Unterkunft und seit nunmehr über 25 Jahren bewirtet jetzt die Familie Vouilloz hier mit viel Herzblut die Gäste.
 
 
Unser Schlafplatz ist in dem herzig kleinen Hüttchen, welches sogar über eine warme Dusche verfügt. Wir richten uns auf dem Dachboden ein und begeben uns anschliessend zum Abendessen, wo der reservierte Stuhl schon auf meinen Begleiter wartet. Die knusprige Rösti mit Speck, Raclettekäse und Spiegelei ist superfein, genau das richtige nach einer langen Tour-Etappe. Bei einem Gläschen Rotwein plaudern wir noch etwas mit dem Hüttenwartpaar, oder besser gesagt Beat plaudert und ich versuche mit meinem doch sehr eingerosteten Schulfranzösisch zu folgen. Der Sternenhimmel fasziniert mich immer wieder an solch abgelegenen Orten ohne Lichtverschmutzung, wir nehmen noch ein paar tiefe Züge der frischen Bergluft und begeben uns dann in die Horizontale. Irgendwie noch ein komisches Gefühl, so direkt unter einem riesigen Becken mit 25 Millionen m³ Wasser zu schlafen. Der Rotwein zeigt aber schon bald seine Wirkung und wir schlummern friedlich ein.
 
 
Was gibt es schöneres als hoch oben am Berg bei strahlend blauem Himmel in den Tag zu starten und sogar ein paar Steinböcke bekommen wir zu der frühen Stunde zu Gesicht. Nach dem Morgenessen und dem einten oder anderen Kaffee verabschieden wir uns von der netten Hüttenwartin und machen uns auf dem Weg. Einfach herrlich, so in der Morgensonne dem Stausee entlang zu fahren und wir sind gespannt, ob die Abfahrt unsere Erwartungen erfüllen wird.
 
 
Wir kommen zu einer Verzweigung und schauen hoch, der Weg der dort durch den Abhang führt sieht zu verlockend aus. Bis ganz nach oben sind es nur 400 Höhenmeter und wir gut in der Zeit, da können wir nicht wiederstehen und hängen spontan noch den Gipfel an. Heute wieder einmal ganz oldschool ohne Tragehilfen, schleppen wir unsere Bikes den Berg hinauf und entscheiden kurz unterm Gipfel diese zu deponieren. Die letzten Meter sind mit Seilen gesichert und auch für die besten Biker nicht befahrbar.
 
 
Oben auf dem riesigen Gipfelplateau des weissen Pferdchens stehen wir mit einem Bein im Heimatland der Tour de France und die Rundumsicht ist super. Tief unter uns die beiden Seen und in der Ferne all die bizarr schroffen Gipfel rund um Chamonix. Der Chef der Alpen versteckt sich wie so oft in den Wolken, welche schubweise an uns verbeiwabern.
 
 
Nach einer kleinen Stärkung machen wir uns wieder an den Abstieg, schnappen uns die Bikes und der Spass kann beginnen. Der Weg durch den schottrigen Hang ist genial und es kommt fast etwas Lago-feeling auf beim Tiefblick über die beiden Seen. Wir sind voll und ganz in unserem Element, der Trail wird immer flüssiger und wir hätten es bereut, wenn wir das weissen Pferdchen ausgelassen hätten.
 
 
Schon lange vor uns haben hier die Archosaurier ihre Spuren hinterlassen. Bei den in den 70er Jahren entdeckten Fussabdrücken handelt es sich um die ältesten fossilen Spuren von Wirbeltieren in der Schweiz, welche hier vor 240 Millionen Jahren durch die damals ebene Landschaft zogen. Aber auch geologisch ist das Gebiet hochinteressant, vor 30 Millionen Jahren wurde das Mont Blanc Massiv an jenes der Aiguilles Rouges geschoben und dabei faltete sich das dazwischenliegende Sedimentgestein zur Morcles-Decke auf.
 
 
Wir haben Glück und bekommen eine Gratislektion über die geologischen Prozesse und die Entstehung der Saurierspuren. Eine Geologin ist mit Informationsmaterial vor Ort und erklärt den interessierten Wanderern wie die urzeitlich Spuren bis heute erhalten blieben. Nach der kleinen Geschichtsstunde gehen wir wieder zum Sportunterricht über. Zurück bei der Verzweigung geht es nochmals ein paar Meter hoch und dann kann sie beginnen, die sehnsüchtig erwartete Abfahrt. Ist sie wirklich so gut wie erhofft? Ja sie ist es, wir wähnen uns im siebten Himmel, da hatte Beat einen guten Riecher.
 
 
Über die Kuppe zuerst noch relativ flüssig, wird es sobald wir in das kleine schmale Tälchen eintauchen technischer. Steine soweit das Auge reicht, grosse, kleine, flache und spitzige, alles ist nicht fahrbar aber das meiste. Die zahlreichen Wanderer können es kaum fassen und wir haben unseren Spass dabei, aber kein einzig böses Wort, da ist das frankophile Publikum deutlich entspannter drauf als andernorts.
 
 
Nachdem wir unsere Bikes durch einen schmalen Felsspalt gequetscht haben, weitet sich das Tälchen auf und es wird wieder flacher. Jetzt dominieren grosse Granitfelsen und das Türkisblau des Sees das Bild, eine Szenerie wie aus dem Hochglanzmagazin. Ich will einen kurzen Blick auf das Navi werfen um die Uhrzeit zu checken, aber oh Schreck, da ist kein Navi mehr am Lenker. Dieses liegt jetzt wohl irgendwo da oben zwischen den Steinen, keine Chance es je wieder zu finden.
 
 
Über die Staumauer rollen wir zum Restaurant, wo wir uns den letzten Platz ergattern und den Kohlehydratspeicher mit einer Portion Spagetti-Bolognese auffüllen. Anschliessend geht es weiter auf den nächsten Trail, dieser führt uns in stetigem Auf und Ab oberhalb des Bergprologes zurück. Beat gibt seinem orangen Beast so richtig die Sporen, er ist wohl scharf auf das Maillot-Jaune. Bei mir hingegen ist die Luft je länger desto mehr raus, die Beine sind schwer und die kurzen wiederkehrenden Anstiege über Wurzeln geben mir den Rest. Oberhalb Les Marécottes kapituliere ich endgültig und wir rollen auf der Postkutschenroute zurück nach Martigny, sorry nochmals an dieser Stelle für die verpassten Trails.

In der Fussgängerzone von Martigny gibt es dann das verdiente Tourabschlussbierchen. Die zwei Tage waren der Hammer, es hat einfach alles gepasst und besser hätte der Abschluss meiner Augustferien nicht sein können. Dies war meine erste richtige Mehrtagestour mit Hüttenübernachtung und trotz anfänglicher Zweifel habe ich richtig Gefallen daran gefunden. Es muss jetzt nicht gleich eine ganze Transalptour sein, aber so eine Übernachtung hoch oben in den Bergen hat schon ihren Reiz.
 

9 Comments

  1. Sehr cool Sven!
    Da kommt die Erinnerung zurück, als wäre es gestern gewesen!
    Und die Ideen für nächsten Sommer beginnen zu sprudeln!
    LG, Beat

  2. Ventoux sagt:

    Spannend, was für Ecken Du immer wieder findest, ist ja auch meine Leidenschaft, immer wieder Neues zu entdecken. Interessanter Bericht, wie immer super schön bebildert.

    • Sven sagt:

      Die Ecke des Wallis kannte ich bis anhin noch gar nicht. Genau, das ist doch immer am schönsten, wenn man zum ersten Mal in eine unbekannte Gegend kommt und es alles neu zu entdecken gilt.

  3. IBEX73 sagt:

    Superguter,mit viel Emotionen verfasster Bericht…..dazu sehr ansprechende Bilder,TOP! Eine Ecke,in die ich auch schon lange will…..

  4. Fibbs sagt:

    Einfach nur Traumhaft

  5. ROTSCHER sagt:

    Coole Bilder. Ja, die Gegend hat mit ihren Felsformationen einiges zu bieten … aber es ist sicher kein Anfängergelände.
    Ich träume schon vom nächsten Alpinsommer 😁

  6. Spoony sagt:

    Hoi Sven (und Beat)
    Da haben wir uns im letzten Sommer nur knapp am Lac d’Emosson verpasst. Ihr beide habt natürlich die harte Variante gefahren, ich habe dafür eher die schönen Stauseen genossen. In jedem Fall wohl ziemlich traumhaft einen Abend in der Cabane du Vieux Emosson. Dein Beitrag ist übrigens wieder mal erste Sahne, sowohl Text wie Bilder. Macht einfach Spass hier mitzulesen!

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