Die kleinste Whiskybar
25. November 2017Jahresrückblick 2k17
30. Dezember 2017Ich hatte schon am ersten Tag vom Piz Terza aus rüber gelinst, zu dem Bündner Gipfel welcher sich den Namen mit einem Tessiner Supercomputer teilt. Im Gegensatz zu dessen knapp 20 Petaflops, war der Gipfel aber definitiv kein Flop sondern das Highlight meiner Tage im Val Müstair. Diesmal werden wieder alle Höhenmeter selbst erarbeitet, gemütlich radle ich am Morgen los ins Nachbardorf, wo der Aufstieg beginnt. Die ersten 800 Höhenmeter werden auf einer breiten Alpstrasse absolviert, zuerst im kühlen Wald, tropft später im offenen Gelände schon bald der erste Schweiss von der Stirn. Das Tal ist auf beiden Seiten von Geröllhalden und Gipfeln gesäumt, ich geniesse den Frühsport in dieser schönen Umgebung und treffe auf erstaunlich viel internationales Bikepublikum. Beim Plaudern mit ein paar Österreichern erfahre ich, dass hier eine bekannte Transalp-Route durchführt.
Ich überhole einen nach dem anderen von den Transälplern, einige sind schon hier am Schieben. Selbst werde ich nur von einem Biker auf seinem Carbonhardtail überholt. Oben beim höchsten Punkt, der kontinentalen Wasserscheide, treffe ich wieder auf diesen Biker. Es ist Georg aus Falera, welcher morgens früh von Scoul aus zu einer kleinen Trainingsrunde gestartet ist. Wir plaudern etwas während wir uns einen Riegel genehmigen, bevor es durch das nächste Tal wieder abwärts geht. Dieses wird schon bald breiter und ist vom Bild der umliegenden Gipfel und des mäandrierenden Baches geprägt. Ein schönes Fleckchen Erde hier in diesem Hochtal, kein Wunder ist es bei Wanderern und Bikern so beliebt.
Bei der nächsten Alp verlasse ich die bekannte Transalp-Route. Während die meisten anderen Biker in Richtung Grenze rollen, geht es für mich erstmal wieder aufwärts, steil aufwärts. Ich schiebe mein 301 nach oben und staune ab den italienischen Jungs mit den strammen Waden und Kohlefaserbikes vor mir, welche das ganze Stück scheinbar mühelos hochtreten. Beim Blick nach rechts sehe ich heute das erste Mal mein Ziel, majestätisch thront der Gipfel hoch über mir und ich kleiner Biker noch weit davon entfernt.
Nach der kurzen aber heftigen Steigung stehe ich auf einer weitläufigen Hochebene. Hier oben befand sich bis in die 70er Jahre eines der grössten Flachmoorgebiete der Schweiz. Zwecks Gewinnung von Weideland wurden damals Entwässerungsgräben durch das Moor gezogen, worauf es komplett austrocknete. Vor ein paar Jahren wurde dann mit der Renaturierung begonnen und langsam erobert sich die ursprüngliche Artenvielfalt ihren Lebensraum wieder zurück.
Auf der Hochebene kann ich bis zur Alphütte wieder ein Stück fahren, bevor das Bike auf die Schultern wechselt. Jetzt geht es fast quer zu den Höhenlinien den grasbewachsenen Hang hinauf und der Weg verliert sich immer wieder. Je höher ich komme, desto mehr werden die Grasflächen durch Steine abgelöst, bis ich schliesslich durch einen steinigen Hang mit nur noch wenigen Grasbüscheln die letzten Meter bis zum Hochplateau zurücklege.
Auf dem kargen Hochplateau treffe ich auf einen Haufen Wanderer, die natürlich wissen wollen was ich hier oben mit dem Bike mache. Ich gebe gerne über mein Vorhaben Auskunft und werde für verrückt erklärt. Der Berg sei nicht befahrbar und auch zu Fuss sei es sehr mühsam die Geröllhalden zu bezwingen, wenn die wüssten. Nach einer kurzen Pause nehme ich den angeblich unbefahrbaren Schutthaufen in Angriff. Zuerst geht es mit dem Bike auf dem Rücken ein erstes Steilstück hinauf zum eigentlichen Grat, hier bin ich schon mittendrin im Steinfetischistenparadies, eine bizarre Landschaft aus erodierten Steintürmchen und vielfarbigem Geröll lässt mein Herz höher schlagen.
Der nun folgende Gratrücken zieht sich in die Länge und zerrt an den Kräften, aber ich sehe auch dass der grösste Teil davon fahrbar ist und dies motiviert mich. Für den steilen feingerölligen Gipfelhang mobilisiere ich nochmals die letzten Kräfte und erreiche endlich das Gipfelkreuz auf fast 3000müM. Das grandiose 360° Panorama hier oben entschädig für die ganzen Strapazen, der Blick reicht schier endlos weit und man hat freie Sicht auf das ganze Val Müstair, welches den Namen "grünes Tal" zu Recht trägt.
Ich kann die Gipfel ringsherum kaum zählen, die Sesvennagruppe mit dem Piz Terza und die Ortlergruppe mit dem Piz Umbrail, um nur mal zwei zu nennen, wo ich in den vergangen Tagen schon oben war. Inmitten der Livigno-Alpen erblicke ich den Lago di Livigno und etwas weiter links in der Ferne die weiss verschneite Berninagruppe mit Piz Balü und Piz Bernina. Ich habe das Glück den Gipfel ganz für mich allein zu haben und verweile fast eine Stunde in der Sonne hier oben hoch über dem Münstertal. Solche Momente kann man kaum in Worte fassen, erhaben über allem zu stehen, überwältigt von der Schönheit der Natur, ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit und grenzenlose Freiheit.
Wie immer an solchen Orten kann ich mich auch hier kaum mehr losreisen. Ich mache mich aber trotzdem langsam bereit, lasse noch etwas Luft ab und schwinge mich in den Sattel. Das lose ockerfarbene Geröll im steilen Gipfelhang ist recht rutschig, aber lieber auf zwei Rädern hier runtergleiten als zu Fuss herumzurutschen. Während ich so den Abhang hinuntergleite, kommt mir eine Gruppe Kiddies mit ein paar Begleitpersonen entgegen. Die Kleinen finden es cool, dass hier einer mit dem Bike unterwegs ist und ich ziehe meinen Hut vor der Leistung dieser Kiddies, die den Aufstieg souverän meistern und hier etwas Tolles erleben anstatt nur passiv zu konsumieren. Jetzt folgt über den Grat ein Ride der Extraklasse, darauf habe ich mich schon beim Aufstieg gefreut. Einfach der Hammer, hier hoch oben auf dem Bergrücken inmitten dieser Felslandschaft dem schmalen Pfad zu folgen.
Der Spass wird nur kurz durch ein unfahrbares Steinfeld unterbrochen, um sogleich weiter zu gehen, bis ich wieder unten auf dem Hochplateau stehe. Soviel zu der Aussage dass der Berg nicht befahrbar sei, ich hatte meinen Spass dabei und dieser ist noch lange nicht zu Ende. Es geht weiter durch die steinige Landschaft nach unten. Der Weg führt jetzt durch die Ausläufer der Geröllhalden, welche ich schon von oben aus bestaunt habe. Auch hier schweift der Blick immer wieder nach oben zum Gipfel und zu den skurrilen Steingebilden, dies ist voll und ganz meine Welt, herrlich.
Nach dem durchqueren eines Grabens kommt langsam wieder etwas grüne Farbe ins Spiel, der Trail führt durch Alpwiesen und ist schon wieder ganz flüssig fahrbar. Ich könnte noch einen letzten kleinen Gipfel anhängen, bin aber gerade so schön im Abwärtsflow und steche darum weiter nach unten. Es folgt nochmals ein genial-technisches Steilstück um das besagte Gipfeli herum, von mir aus könnte es noch lange so weiter gehen. Auch hier hat es wieder von diesen schönen Felsformationen, im Gegensatz zu weiter oben einfach mit noch etwas Grünzeug durchzogen.
Schon kurz darauf werde ich aber von einem Moment auf den anderen wieder zurück in die Zivilisation katapultiert, ich stehe plötzlich auf der Passstrasse inmitten motorisierter Biker. Wehmütig blicke ich noch ein letztes Mal zurück zu dem Gipfel, wo ich eine gute Stunde zuvor in diese aussergewöhnliche Abfahrt gestartet bin.
Auf die Strasse habe ich aber keine Lust, dort sollen sich lieber die motorisierten Biker vergnügen. Zum Glück hat es einen Trail der neben dem Asphalt nach unten führt. Anfangs noch etwas technisch, wird er schon bald flowiger und artet schlussendlich in eine regelrechte Tempoorgie aus. Ich fliege förmlich über die Wiesentrails und nehme jeden kleinen Sprung mit, der Trail wird bis zum letzten Meter ausgekostet. Das letzte Stück bis zum Hotel rolle ich anschliessend gemütlich auf der Strasse zurück. Dort angekommen lasse ich beim fast schon obligaten Biosfera Weizen die Tour nochmals Revue passieren, die war der Hammer und wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.
Dies war es dann auch schon wieder mit Eindrücken und Bildern aus dem grünen Tal. Am letzten Tag hätte ich noch den Piz Chavalatsch auf dem Programm gehabt, das Wetter machte mir aber leider einen Strich durch die Rechnung. Darum wurde es für den Abschluss nur noch eine kleine Runde über das S-charljoch. Ist aber halb so schlimm, ich werde sicher wieder zurückkehren, denn dieses traumhaft schöne Tal hat mein Herz erobert.
Dies war es dann auch schon wieder mit Eindrücken und Bildern aus dem grünen Tal. Am letzten Tag hätte ich noch den Piz Chavalatsch auf dem Programm gehabt, das Wetter machte mir aber leider einen Strich durch die Rechnung. Darum wurde es für den Abschluss nur noch eine kleine Runde über das S-charljoch. Ist aber halb so schlimm, ich werde sicher wieder zurückkehren, denn dieses traumhaft schöne Tal hat mein Herz erobert.
5 Comments
Wow, genial die Eindrücke 👍 … ich habe mir den Gipfel notiert … die nächste Saison kommt bestimmt … die Gegend ist wunderschön.
Hoffentlich gibt es einen kurzen Winter 😁
Cool, die Landschaft mit dem farbigen Geröll sieht wirklich speziell aus….
Mit dem Piz Chavalatsch hab ich auch noch eine Rechnung offen (Bericht folgt)….
Stimmt, da war ja mal noch was mit einem Bild von Schneeregen auf dem Umbrail, da hatte ich definitiv mehr Wetterglück 🙂
Wunderschöne Gegend, die ich aus meinen Aufenthalten in Livigno kenne. Habe damals Deine ganze Runde auch abgefahren, natürlich ohne den Piz, wäre mir damals nicht im Traum in den Sinn gekommen. Heute sieht das aber ganz anders aus 😉
Ganz vereckt Sven! Herzliche Gratulation zu dieser Topleistung! Grandiose Fotos – wie immer von Dir. Und die Gegend dort ist einfach klasse!