Doppio Cima della Trosa
29. Juni 2017Torrenthorn
10. Juli 2017Die ganze Woche habe ich von meinen Touren und der Ferienwohnung aus immer wieder zu ihm hochgeschaut, zum höchsten Berg am Lago di Maggiore. Seit ich die ersten Bilder von Bikern hoch oben beim grossen roten Gipfelkreuz gesehen habe wusste ich, da rauf möchte ich auch einmal. Am letzten Tag meiner Ferien nahm ich dann das lang ersehnte Vorhaben in Angriff. Ich startete um kurz vor 9 Uhr unten am See, wo einst die heimische Zigarrenindustrie zu Hause war.
In den noch kühlen Morgenstunden absolvierte ich die ersten 800 Höhemeter auf der Strasse. Autos und Menschen begegneten mir dabei kaum, dafür umso mehr Schafe, welche da frei im Wald umherliefen und ihr grosses Geschäft anscheinend am liebsten auf der Strasse verrichten. Am Ende der Strasse tauchte ich dann ein auf den ersten Trail, ein bisschen fahrend und ein bisschen schiebend durchquerte ich das raue Tal mit der hängenden Wasserleitung.
Weit oben konnte ich schon ganz klein die Hütte erkennen, welche dort wie ein Adlernest am Bergkamm klebt. Zu ihr rauf wollte ich, dem ersten Etappenziel auf dem Weg zum Gipfel. Dazwischen lagen aber noch gut 700 Höhenmeter und ein paar Schweisstropfen, ohne Fleiss kein Preis, die schönsten Gipfel muss man sich verdienen und das ist auch gut so.
Auf der anderen Talseite kam ich zu einem Parkplatz wo natürlich auch eine Strasse hinführt, die hätte ich für den Aufstieg eigentlich auch nehmen können. Egal, rechts rein in den Wald und die Schieberei begann. Anfangs noch recht moderat, summierten sich die Höhenmeter langsam und ich konnte zwischen den Bäumen immer wieder mal einen Blick auf den Lago di Maggiore erhaschen, je höher desto besser.
Freien Blick hatte ich dabei auch auf den Pizzo Leone, welchen ich ein paar Tage zuvor bestiegen hatte. Etwas später wechselte das Bike auf die Schulter und die Vorfreude auf die bevorstehende Abfahrt auf diesem Weg stieg an. Ein paar Schweisstropfen später tauchte über mir plötzlich eine Schweizerfahne und ein Kreuz auf, ich war direkt unterhalb der Hütte mit der wohl besten Aussicht im Tessin.
Das Seebecken liegt einem hier zu Füssen, man fühlt sich wie ein Adler und würde am liebsten gleich zu einem Rundflug abheben. Ausnahmsweise war die Hütte schon im Juni bewirtet und ich kriegte von den netten Hüttenwarten eine feine Gemüsesuppe. Bei ihnen deponiere ich auch mein Bike, die letzten 400 Höhenmeter bis zum Gipfel legte ich ohne Bike zu Fuss zurück.
Ich hatte mir lange überlegt die Gipfelüberschreitung von Italien her in die Schweiz zu wagen, mich aber dann auf mein Bauchgefühl verlassen und erst einmal für eine Rekognoszierung von der Schweizer Seite her entschieden. Bis zur Bocchetta hätte es für mich persönlich noch Sinn gemach das Bike mit zu nehmen, aber danach war ich nicht unglücklich darüber das Bike nicht mehr dabei zu haben.
Da ich zu Fuss unterwegs war, kletterte ich im Aufstieg durch die zwei steilen Couloirs auf dem schwierigeren Weg zum Gipfel. Nach einer guten Dreiviertelstunde hatte ich das markante rote Kreuz erreicht und kam aus dem Staunen nicht mehr raus, trotz leichtem Dunst war das Panorama einfach überwältigend.
Ich sah fast alle Touren von oben, welche ich im rund um den Lago di Maggiore schon gefahren bin. Auf der einen Seite das Centovalli und auf der anderen Seite der riesige Lago di Maggiore, hier oben bekommt man einen guten Eindruck wie gross er wirklich ist. Die Welt respektive das Tessin liegt einem 2000 Meter über dem Seespiegel sprichwörtlich zu Füssen.
Ein weiterer Punkt der diesen Gipfel so einmalig macht, man sieht von hier aus den tiefsten und höchsten Punkt der Schweiz. Tief unter einem auf 193müM liegt Ascona und man braucht sich nur einmal kurz umzudrehen und erblickt in der Ferne die Dufourspitze, mit 4634m der höchste Gipfel der Schweiz.
Ich hatte den Gipfel ganz für mich allein, einer dieser unbeschreiblichen Momente von Freiheit und Glück, alle Alltagsprobleme sind plötzlich ganz weit weg. Die tibetischen Fähnchen am Kreuz passten da wunderbar dazu, Himalaya-Feeling am Lago di Maggiore.
Ich konnte mich kaum mehr losreisen von diesem wunderschönen Ort, machte mich aber dann irgendwann doch auf den Rückweg zur Hütte. Für den Abstieg wählte ich die einfachere Route, welche auch mit dem Bike auf dem Rücken zu bewältigen wäre. Das Steinhäuschen auf dem Vorgipfel ist übrigends keine Kapelle sondern eine Niederschlagsmessstation, wo die Jahresniederschlagsmenge gemessen wird.
Zurück bei der Hütte nahm ich mein Bike wieder in Empfang, gönnte mir Kaffee und Kuchen und plauderte noch etwas mit den Hüttenwarten, welche ursprünglich wie ich aus der Nordwestschweiz kommen. Ein negatives Erlebnis mit einer Gruppe deutscher Touristen gab es leider auch noch. Diese kamen bei der Hütte an, nahmen einen Grossteil der Plätze in Anspruch und packten ohne zu fragen ihr Picknick aus. Der Hüttenwart fragte dann freundlich ob sie was zu trinken wollen. Wollten sie nicht, nur der einte hätte gerne ein alkoholfreies Weizen gehabt und wunderte sich, warum hier oben sowas nicht angeboten wird. Da lüpfte es dem Hüttenwart den Hut und er empfahl ihnen doch lieber ausserhalb des Hüttengeländes Platz zu nehmen. Dort packten sie dann ihre Drohnen aus und störten mit den lästigen Dingern die Ruhe, Leute gibts.
Schliesslich startete ich in die Abfahrt, welche wie erwartet super war. Mit Blick auf den Lago di Maggiore ging es auf dem Wanderweg talwärts und bis auf ein paar enge Spitzkehren war alles fahrbar, die beste Panoramaabfahrt welche ich im Tessin je unter den Rädern hatte. Fotos davon gibt es kaum, da einfach zu gut um immer wieder anzuhalten. Dies ist das Schöne am Biken, da macht im Gegensatz zum Wandern auch der Abstieg Spass. Nach etwa der Hälfte tauchte ich dann wieder in den Wald ein und der Spass ging weiter, insgesamt fast 800 Höhenmeter feinste Trails. Die anschliessende Querung zurück durch das raue Tal bot da gerade etwas Entspannung, in dieser Richtung war mehr fahrbar als morgens auf dem Hinweg. Kurz darauf war ich wieder an dem Punkt, wo ich am Morgen die Strasse verlassen hatte. Auf dieser zurück wäre aber ja langweilig gewesen, also nochmals etwas aufwärts, wo ich wieder auf den Brunnen traf, welcher mich am Montag vor dem Verdursten rettete.
Ich querte den Hang weiter aufwärts, bis ich zu einer kleinen Lichtung kam. Ab hier ging es dann für die nächsten 800 Höhenmeter nur noch abwärts. Der Weg musste anfangs zwischen den Farnen und Gräsern gesucht werden, wirklich oft wird er wohl nicht begannen. Ich kam zu nächsten Weiler mit Steinhäusern, aber noch lange nichts mit Pianissimo, der Fahrer wurde nochmals gefordert, typisch fürs Tessin blieb es bis fast an den See runter anspruchsvoll.
Ein Hammertour, besser hätte die Woche im Tessin nicht enden können. Abends genoss ich zum letzten Mal das Panorama bei Nacht, all die Berge ringsherum zeichneten sich wunderschön als Silhouetten in der Dämmerung ab. Einen Grossteil der befahrenen Gipfel konnte ich von hier aus sehen und fuhr die Touren in Gedanken nochmals ab. Zu den letzten Glockenlängen von High-Hopes schloss ich dann meine Augen und versank in süsse Träume von endlosen Ticinotrails.
Is This the Life We Really Want? Ja, dieses Leben hier wie in der vergangenen Woche definitiv. In dem Kontext wo Roger Waters die Frage stellt, bin ich mir da aber nicht immer ganz so sicher. Eine solche Bikewoche in den Bergen würde all den geld- und machgeilen Idioten dieser Welt vielleicht auch mal gut tun, um zu erkennen, wie klein und unbedeutend sie in Wirklichkeit sind.
Leider geht auch die schönste Zeit einmal zu Ende und es hiess schon wieder Abschied nehmen von meinem kleinen Paradies hoch über dem Lago di Maggiore. Ich packte mein Gepäck auf das Seilbähnchen, belud das Binford-mobil und reihte mich ein in die Blechschlange am Gotthard, die Realität hatte mich wieder.
6 Comments
Wow, Hammer !!! Einfach umwerfend dieses Panorama. Die schönsten Orte sind effektiv nur mit viel Muskelkraft und Schweiss erreichbar, recht so 😁
Wäre dein Abstieg vom Gipfel eigentlich fahrbar? Ich nehme eben am liebsten das Bike immer mit auf den Berg 😉
Danke für den tollen Beitrag.
Eher nicht, auch da hätte das Bike bei mir die meiste Zeit auf dem Rücken verbracht, alles S3 und S4. Das Bike ganz rauf mitzunehmen macht IMO nur Sinn, wenn man den Gipfel von der anderen Seite her überschreiten möchte.
Tolle Tour.
Da kommen ein paar melancholische Anklänge rüber … 😉
Aber das darf nach einer solch schönen Bikewoche sein. Leider holt uns der Alltag viel zu schnell aus den Erinnerungen.
Andererseits lassen Erinnerungen, wenn sie zu stark sind, den Blick auf Neues oft im Nebel.
Grande Croce Rossa … ohne Dich wäre der Gipfel mir wohl noch lange ein Unbekannter geblieben.
Mille grazie!
Oh ja, Melancholie pur, als ich am Samstagmorgen vor der Rückfahrt den letzten Kaffee in meinem kleinen Paradies trank. Starke Erinnerungen kann einem aber auch niemand mehr nehmen, im Gegensatz zu allen anderen Dingen 😉
Hammerbilder! Von welcher Ortschaft in Italien ist der Gipfel erreichbar?
Du siehst sie auf dem ersten Bild rechts aussen, die erste grössere nach der Grenze 😉