Ticino umido e fresco
3. Juli 2024Der Hochsommer liess dieses Jahr auf sich warten, aber pünktlich auf meinen Ferienbeginn in der ersten Augustwoche schaute er dann doch noch vorbei. Im Val d'Anniviers war ich schon länger nicht mehr und so reserviere ich mir ein Zimmer im Hotel Europe in Zinal. Mit dem neuen Biketransporter macht die Anfahrt gleich doppelt Spass und ich erreiche gutgelaunt das kleine Bergsteigerdorf am Ende der Strasse.
Der Cabane Arpitettaz habe ich bereits bei meinem letzten Aufenthalt einen Besuch abgestattet, heute möchte ich gerne einmal bei der Cabane du Mountet vorbeischauen. Leider haben die Unwetter auch hier Verwüstung angerichtet und die Brücke wurde mitgerissen. Die Bagger sind immer noch damit beschäftigt die Schäden zu beseitigen, aber es wurde bereits eine provisorische Ersatzbrücke gebaut, so dass ich trockenen Fusses den Bach überqueren kann.
Voller Tatendrang schultere ich mein Bike und lasse mich durch die Kommentare der Wanderer nicht entmutigen, auch wenn das Gelände alles andere als fahrbar ausschaut. Der Tiefblick in das verlassene Bett des Glacier de Zinal ist herrlich, aber mit jedem Meter zurückgelegtem Weg schwindet die Zuversicht, dass ich abwärts viel Zeit im Sattel verbringen werde. Irgendwann ist dann der Punkt erreicht, wo ich die Cabane du Mountet abschreibe und es mir in der Sonne gemütlich mache.
Das Panorama von der Hütte aus wäre sicher noch um einiges eindrücklicher gewesen, aber auch hier erfreut die Dent Blanche und der Grand Cornier das Auge, während ich meinen Proviant verputze. Abwärts ist dann wie erwartet nicht wirklich viel fahrbar, aber der fahrbare Teil dafür umso besser. Dabei sticht mir der Weg vom Roc de la Vache zum Lac d'Arpitettaz ins Auge, den muss ich unbedingt auch einmal unter die Räder nehmen.
Zurück im Hotel geniesse ich noch etwas den Wellnessbereich, bevor es auf die Panoramaterrasse zum Abendessen geht. Nach dem Tartare de Boeuf als Entree, gibt es als Hauptgang sensationelle Tagliatelle mit Steinpilzen und Walliser Trockenfleisch. Da komme ich als Gourmetbiker wieder einmal voll und ganz auf meine Kosten.
Am zweiten Tag geht es hoch hinauf auf Reko-Tour für einen noch höheren Gipfel. Es gibt in der Schweiz zwei 4000er, die schon mit Bikes befahren wurden und einer davon befindet sich hier zwischen dem Eifisch- und Turtmanntal. Einmal im Leben mit dem Bike auf über 4000müM, davon träume ich schon lange. Keine Ahnung, ob ich dies noch schaffen werde, aber heute gehe ich mir das Ziel einmal aus der Nähe angucken. Mit Tiefblick auf Zinal gewinne ich auf dem Alpsträsschen schnell an Höhe und treffe schon bald auf ein paar einheimische Vierbeiner. Wenn die wüssten, was ich gestern zu Abend gegessen habe, würden sie mich wohl nicht so freudig begrüssen.
Schliesslich gelange ich auf eine schöne Hochebene, etwas Zeit zum Verschnaufen, bevor der steile Schlussanstieg ansteht. Weit oben kann ich die Hütte schon sehen, welche dort auf einem Felsplateau direkt neben dem Turtmanngletscher steht. Natürlich bin ich an so einem schönen Tag nicht allein unterwegs und schreite schnaufend mitten im Wanderpulk den gut ausgebauten Weg hinauf. Zum Schluss erwartet mit noch ein steiles mit Ketten gesichertes Couloir. Dank dem Hookabike für mich kein Problem und ein willkommenes Fotosujet für die ungläubig dreinblickenden Wanderer.
Als ich die Cabane de Tracuit erreiche, bin ich fix und fertig. Die 1600hm haben ihre Spuren hinterlassen und auch die dünne Luft auf der ersten richtigen Hochtour dieser Saison bin noch nicht gewohnt. Nach einem kühlen Rivella und einem Stück von der leckeren Lauchspeck-Quiche, kehren aber die Lebensgeister wieder zurück und ich kann das herrliche Panorama geniessen. Direkt vor mir erhebt sich mein 4k-Kandidat das Bishorn mit seinem Doppelgipfel und direkt dahinter der mächtige Weisshorn-Nordgrat, dessen Verlängerung das Bishorn eigentlich darstellt.
Der Name der Hütte ist von der Alp Tracuit hergeleitet, stammt aus dem Patois und bezeichnet einen dem Wind ausgesetzten Rastplatz. Heut ist es zum Glück hier oben windstill und die Sonnenterrasse, wo einst die alte Hütte stand, lädt zum Verweilen ein. Nachdem ich anschliessend das Couloir wieder heruntergeklettert bin, kann ich mich endlich aufs Bike schwingen und der Spass beginnt. Während ich zwischen den Steinen hindurch abwärts zirkle, sind die Alpinisten, welche morgen das Bishorn besteigen möchten, immer noch am Aufstieg und wie so oft ergeben sich dabei nette Gespräche.
Die Abfahrt ist echt cool und fast komplett fahrbar, sie wäre definitiv noch das i-Tüpfelchen nach der Besteigung des Bishorns. Schon recht weit unten, da wo der Weg nicht mehr so anspruchsvoll ist, bin ich einen Moment unaufmerksam und lege prompt einen Abflug hin. Mitsamt Bike fliege ich den Abhang hinunter in die Felsen und habe dabei einmal mehr Glück, ausser ein paar Kratzern an meinem 301 ist alles heil geblieben.
Für den Abschlusstag gehe ich es gemütlich an, lasse mich mit der Seilbahn zum Corne de Sorebois hinauf chauffieren und starte mit einem Flowtrail in den Tag. Nachdem ich den Lac de Moiry umrundet habe, schultere ich das Bike und wandere hinauf zum Lac de la Bayenna. Von hier aus kann ich mein heutiges Ziel den Col du Tsaté schon sehen und eine knappe Stunde später stehe ich dann auch schon oben auf dem Pass, welchem ich bereits vor ein paar Jahren vom Val d’Hérens her einen Besuch abgestattet habe.
Der Wegweiser steht nicht mehr so aufrecht wie bei meinem letzten Besuch, aber auch heute weht hier oben ein kühles Lüftchen. Die Bezeichnung Tsaté stammt ebenfalls aus dem Patois und bedeutet Schloss. Tracuit würde aber hier wohl heute eher zutreffen an diesem windigen Rastplatz. Darum mache ich mich dann auch schon bald wieder an die Abfahrt und diese ist farbenfroh. Der Bergsommer präsentiert sich in seiner ganzen Pracht, ringsherum ein gelbes Blütenmeer und ich gut getarnt mittendrinn mit meinem gelb-grünen Grashüpfer. Beim Blick hinüber zum Glacier de Moiry wird mir einmal mehr schmerzlich bewusst, wie rasant unsere Eisriesen dahinschmelzen. Vor 5 Jahren waren wir das letzte Mal hier und da war noch deutlich mehr Eis vorhanden.
Der Höhenweg dem Lac de Moiry entlang ist leider über weite Strecken nicht fahrbar, da zu wenig Gefälle, um über die Hindernisse hinweg zu rollen. Dafür ist der Blick auf den kitschig türkisblauen See umso schöner und der Trail nach Grimentz hinunter ist dann wieder top. Durch den Wald geht es anschliessend zurück nach Zinal, wo ich mir zum Nachtessen gleich nochmals die leckeren Tagliatelle mit Steinpilzen und Walliser Trockenfleisch gönne.
Die drei Tage hier ganz hinten im Val d'Anniviers waren super. Die Gipfel sind zum Greifen nah, das Essen auf der Panoramaterrasse war extrem lecker, der kleine Wellnessbereich ist superschön und das Rauschen des Baches zum Einschlafen einfach nur herrlich. Ich komme bestimmt wieder, denn hier steht ja auch mein langgehegter Traum, denn ich mir hoffentlich einmal noch erfüllen werde. An potentiellen gleichgesinnten Spinnern sollte es ja nicht mangeln, wie ich so gehört habe.