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Schleckeis d’Arolla

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Zu Arolla habe ich eine ganz besondere Beziehung. Zum einen befindet sich dort die Sternstunde und zum anderen war ich dort bereits als kleiner Knirps mit meinen Eltern in den Skiferien. Der Spass beginnt diesmal bereits nach der Autobahnausfahrt, kurz die R-Taste an meinem neuen Biketransporter gedrückt und dann geht es auch schon los, auf über 25 Kilometer und 1500 Höhenmeter erwarten mich unzählige Kurven, bis ich schliesslich das kleine Bergsteigerdorf am Ende der Strasse erreiche. Hier auf 2000müM ist man den hohen Gipfeln besonders nah und umgeben von weissem Schleckeis. Im Hôtel du Pigne werde ich freundlich empfangen und schaue mir anschliessend noch etwas das Dorf an, welches mehr eine Ansammlung von einzelnen Häusern ist.

 

 

Am ersten Tag ziehe ich los in Richtung Sternstunde, aber noch unschlüssig wo es genau hingehen soll. Die Pigne d'Arolla strahlt herrlich in der Morgensonne und ich kann dabei schon mal einen ersten Blick auf mein morgiges Ziel erhaschen. Bis zur Cabane des Aiguilles Rouges fühle ich mich wie auf einer Völkerwanderung, aber dann wird es einsam. Vorbei an den roten Nadeln geht es aufwärts durch die karge Steinlandschaft, bis ich eine Verzweigung erreiche, welche auf keiner Karte eingezeichnet ist.

 

 

Nun muss ich mich entscheiden, die bereits bekannte Sternstunde oder eine neue Spitze erkunden. Ich entscheide mich für zweiteres und betrete unbekanntes Terrain. Nachdem ich die Gletschermoräne hinter mir gelassen habe, passiere ich einen kleinen See. Nun wird es steiler, aber es ist immer noch ein Weg erkennbar und ich gewinne stetig an Höhe. Schliesslich stehe ich direkt vor dem grossen Schleckeis und die angepeilte Spitze leuchtet hellbraun im Sonnenlicht.

 
 

Die Zeit ist schon recht fortgeschritten und ich wäge ab, ob ich es noch wagen soll. Von der Spitze trennen mich noch 200 Höhenmeter und eine Gletscherüberquerung, vor welcher ich schon etwas Respekt habe. Darum entscheide ich mich dann auch für eine längere Pause und gegen den Gipfel, denn dieser läuft ja nicht davon. So habe ich genügend Zeit, um dieses wunderschöne Plätzchen in vollen Zügen zu geniessen, ganze für mich allein und den Sternenberg direkt neben mir.

 

 

Frisch gestärkt geht es nun in die Abfahrt und diese ist tatsächlich ein Traum, wie ich schon beim Aufstieg vermutet habe. Pastelltöne in den verschiedensten Farben und immer wieder wechselnde Wegbeschaffenheiten lassen das Bikerherz höherschlagen, während die roten Nadeln von Arolla das Auge erfreuen. Ich liebe solche weitläufigen Mondlandschaften aus Stein und erst recht, wenn sie wie diese hier mit meinem grünen Mond-Rover befahrbar sind.

 

 

Nach dem kleinen See geht es auf der Gletschermoräne weiter und im Gegensatz zur Sternstunde, kann ich bei dieser Variante die komplette Moräne absurfen. Diese Abfahrt ist etwas vom Besten und Vielseitigsten was ich kenne. Mit schwindender Höhe verändert sich der Charakter des Trails immer wieder aufs Neue, bis ich vor dem blauen See stehe. Hier ist es urplötzlich vorbei mit der Einsamkeit und es wimmelt von Leuten, die hier am Wasser den Nachmittag verbringen.

 

 

Trotz rücksichtsvollem zur Seite stehen, ernte ich auf dem letzten Wegstück ein paar böse Blicke. Diese verderben aber meine Laune nicht und gebe auf den letzten Metern nochmals kräftig Gas, da ich das kühle Valaisanne im Hotel schon riechen kann.

Am zweiten Tag habe ich mir mit dem Glacier de Pièce ein weiteres Schleckeis als Ziel ausgesucht. Den Aufstieg habe ich mir schon gestern von der anderen Seite aus angucken können und darum erwarten mich auch keine grösseren Überraschungen. Umso imposanter ist dafür der Tiefblick in das Bett des Glacier de Tsijiore Nouve, wo die spärlichen Glacéreste fast komplett mit Stein-Krokant Topping bedeckt sind.

 

 

Auf dem weiteren Weg lasse ich den Blick hinüber zur Pointe de Bertol schweifen und entdecke dabei den riesigen Hangrutsch, welcher die geniale Murmelbahn mitgerissen hat, auf der ich vor vier Jahren so viel Spass hatte. Nun ist es nicht mehr weit und schon bald darauf stehe ich vor dem Glacier de Pièce, an dessen höchstem Punkt sich die Cabane des Vignettes befindet. Von dort kommen auch die beiden Alpinisten, auf welche ich hier treffe. Der einte scheint schon recht mitgenommen, lässt es sich aber nicht nehmen mit meinem Liteville vor dem grossen Schleckeis zu posieren.

 
 

Der Rastplatz könnte auch heute nicht schöner sein, hier direkt unter der Pigne d'Arolla. Die Sonne strahlt vom blauen Himmel, des Schmelzwasser gurgelt und die Seele baumelt, während ich meinen Proviant verputze. Heute darf sogar auch der grüne Grashüpfer kurz das grosse Schleckeis betreten und dann geht es auch schon nahtlos weiter in die Abfahrt.

 

 

Auf Eis folgt loser Stein und als ich das Gletschervorfeld hinter mir gelassen habe, erwartet mich ein super Trail. Aber auch wenn der Trail noch so einfach zu fahren ist, sollte man ihm die ganze Aufmerksamkeit schenken und nicht verträumt in die Landschaft schauen. Dieses Versäumnis wird nämlich postwendend mit einer Flugstunde bestraft, wie ich merken muss. Aber immerhin habe ich den unfreiwilligen Flug diesmal auf Video festgehalten.

 

 

Zurück im Hotel mache ich es mir auf der frisch gemähten Wiese gemütlich, da der Balkon schon im Schatten liegt. Viel besser als jeder Strandurlaub, hier vor dieser einzigartigen Kulisse in der Sonne zu liegen mit Blick auf die Aiguille de la Tsa, eine der schönsten Felsnadeln im Lande.

Am letzten Tag möchte ich einem Passübergang nochmals einen Besuch abstatten, den ich bereits vor vier Jahren auf einer meiner Entdeckertouren überschritten habe. Damals bin ich auf der südwestlichen Seite ins Val des Dix abgefahren und möchte nun unbedingt noch die Abfahrt auf der Nordostseite ausprobieren. Den Hinweg kenne ich bereits bestens und bekomme so heute beim Aufstieg die roten Nadeln noch von der anderen Seite zu Gesicht.

 

 

Die letzten paar Meter sind Kraxelgelände und es macht keinen Sinn das Bike ganz mit rauf zu schleppen. Der Wow-Moment ist aber auch beim zweiten Mal nicht kleiner, mit dem Erreichen des Passes eröffnet sich einem plötzlich der Blick ins Val des Dix und auf den mächtigen Mont Blanc de Cheilon mit dem gleichnamigen Schleckeis. Für mich ist dies eine der schönsten Nordwände in den Alpen, ein perfekt geformtes gleichseitiges Dreieck wie aus dem Geometrielehrbuch. Ich habe diesen exklusiven Platz ganz für mich allein und klar fällt da die Mittagspause auch heute etwas länger aus.

 

 

Nachdem ich mein Bike wieder gesattelt habe, kann der Spass beginnen. Die Abfahrt ist wie erwartet Spitzenklasse, schmale Pfade und weglose Stücke wechseln sich ab, wobei die blau-weissen Markierungen mir stets den Weg weisen. Weiter unten wird es immer schneller und da der grosse Wandertross zur Cabane bereits vorüber ist, habe ich freie Bahn. Vorbei an den vierbeinigen Locals mache ich noch einen kurzen Abstecher zum Le Troûco, bevor ich den letzten Trail zurück ins Hotel unter die Räder nehme.

 

 

Es war wieder einmal super hier ganz hinten im Val d’Hérens in Arolla, wo die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Die Skilifte sind immer noch die gleichen wie vor fast 40 Jahren und ich habe selten einen Ort mit so wenig Lichtverschmutzung erlebt. Die Sterne funkeln in der Nacht und tagsüber funkelt das Schleckeis, welches wie sahniges Glacé von den Gipfeln herunterfliesst. Auch wenn der einstige Glanz aus der Pionierzeit des Alpinismus etwas verblasst ist und die einst stolzen Belle-Époque Hotels leer stehen, übt der Ort auf mich immer noch eine Faszination aus. Bergbahnen sucht man hier zum Glück vergebens, aber für Biker wie uns, die ihr Gefährt auch gerne mal aufwärts tragen, ist dies einer der schönsten Gegenden im Valais.

 

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